Sonntag, 23. Mai 2010
Innen-Ansichten eines Clowns
Es ist der 20.04.2010, also fünf Tage bevor es richtig losgeht. Früh morgens in der kleinen Küche holt er sich eine Tasse Kaffee. Es ist noch recht ruhig in der Firma. Nur im Nebenraum hört er das gekonnte Tastaturklappern von Susanne, der Sekretärin.

Er hat Großes vor: er will seine Ernährung umstellen. Dadurch hofft er nicht nur seine Chance auf Herzinfarkte, Stents, Bypässe und ähnliche Schweinereien zu verringern. Er rechnet sich auch Chancen darauf aus, seine Blutdrucktabletten loszuwerden. Karin hat es vorgemacht; es geht also tatsächlich. Außerdem hätte er nichts gegen eine schlankere Figur einzuwenden.

Seinen Essensplan hat er bereits bekommen; er weiß also was zu tun ist. Jetzt muß er nur noch den Start-Tag - nämlich den kommenden Sonntag - abwarten. Er freut sich darauf, daß es ab nächster Woche nun endlich losgeht. Und er hat im Vorfeld fast allen Kollegen von der geplanten Ernährungsumstellung erzählt. Seine Laune ist prächtig.

Plötzlich zuckt ihm eine Idee für einen Scherz blitzartig durchs Gehirn.

Der Clown hatte lange Zeit im Ruhezustand verbracht; es gab für ihn in letzter Zeit nicht viel zu tun. Diesen Weckruf aber hat der Clown nicht verpaßt: hier fühlt er sich angesprochen und wird nun wach. Der Clown wird zügig lebendiger und übernimmt sehr schnell - viel zu schnell - die vollständige Kontrolle:

Seine Stimmung ändert sich. Er wird betrübt, bedrückt, betroffen und tieftraurig. Aufgrund dieser Gefühle verändern sich Haltung, Gestik und Gesichtsausdruck: ernst und richtiggehend unglücklich. In diesem Zustand geht er ins Nebenzimmer zur Sekretärin.

Begleitet von einer dramatischen Geste schießt der Clown mit all seiner Macht einen Satz auf sie ab:


"Susanne ! ..." (Kunstpause) "... nimm Abschied! "


Während er - in der sich nun entfaltenden Stille - noch die Wirkung seiner Worte abwartet, dämmert ihm langsam etwas ...

... und als in den Gesichtszügen von Susanne Spuren von Angst auftauchen, wird das Dämmernde zur Gewissheit: er hat einen Riesenfehler gemacht!

Panisch pfeift er den Clown zurück und läßt ihn in entgegengesetzter Richtung losrennen: Er wirft schnell jedwede Portion Zuneigung, Güte und Sympatie, die er für sie ausgraben kann, ins Rennen.

Sein Gesichtsausdruck wird entspannt und sanft. Bald erscheint ein Lächeln in seinem Gesicht. Das Lächeln wird zu einem Lachen; erst leise dann lauter. Schließlich lacht er schallend und hofft inständig, auch Susanne mitreissen zu können, als er letztendlich auf seinen dicken Bauch klopft und laut prustend den Satz vollständig hervorbringt:


"Susanne, nimm Abschied von DIESER PLAUTZE ! Ab nächster Woche wird sie verschwinden."


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Er hat einen Fehler gemacht.

Ein Clown sollte niemals einem Menschen Schaden zufügen.

Noch Wochen später schämt er sich jedesmal dafür, wenn er an diese Begebenheit zurückdenkt.

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